Huch, nur zwei verzeichnete Filme aus dem Jahr 1893[1]? Und nur von den beiden getriebenen Williams (Heise arbeitete hier nur und danach überwiegend als Kameramann[2]). Da hätte man doch mehr erwartet. Warum sich die Konkurrenz noch im Hintergrund hält, ist unklar, vermutlich kocht jeder entwicklungs- und planungstechnisch im Stillen sein eigenes Filmsüppchen. Willie Dickson jedenfalls hatte in diesem Jahr einfach viel zu tun, perfektionierte er doch während einer Wirtschaftskrise[3] und gesundheitlich angeschlagen[3] den 35mm-Kinetographen sowie das Kinetoskop und baute zeitgleich mit der Black Maria für läppische 637,67 Dollar[5] das erste kommerzielle Filmstudio. Da reichte es zeitlich eben nur für die zwei erwähnten Filme. Sein Chef Edison machte Druck und wollte quasi sofort mit der kommerziellen Auswertung dieser beiden offiziell für Publikum in der Black Maria produzierten Werke beginnen. Er hielt die Filmsache an sich lediglich für einen Trend und wollte diesen umgehend nutzen, weswegen er seine Filme auch weiter in das mittlerweile mit 25-Cent Münzen teuer betreibbare und in Serie gegebene Kinetoskop einsperrte und nicht darüber nachdachte, Filme via Projektion einem großen Publikum zugänglich zu machen[5]. Ein Fehler, wie sich noch rausstellen wird. Die Gier siegte in den USA also vorerst über das Kino und degradierte es zu einer Peepshow. Die ersten öffentlichen Vorführungen beider etwa einminütigen Filme fanden am 09. Mai 1893 im Brooklyn Institute statt[6].
Naja, was den Inhalt der Filme betrifft, möchte ich Sie nicht weiter in Dunkeln lassen, es geht um den Beruf des Schmieds. Horse Shoeing zeigt, wie sollte es anders sein, das Beschlagen eines Pferdes. „Every movement needed in the work was clearly shown as if the object was in real (life).”, frohlockte die Presse[7]. Blacksmith Scene ist jedoch in mehrerlei Hinsicht der interessantere Film. Drei kräftige arbeitsbeschürzte Männer behämmern darin ein auf einen Amboss gehaltenes Eisen. In einer kurzen Pause, in der das Eisen im Feuer wieder heiß gemacht wird, lassen sie gemütlich ein Bierchen rumgehen, und dann wird aber auch schon weitergeschmiedet. Man kann sagen, der Film ist vielleicht der erste mit humoristischen Zügen, so etwas wie eine hintergründige Retro-Reminiszenz. Zum Einen war nämlich Trinken bei der Arbeit im Jahre 1893 nicht mehr so recht en vogue, im frühen 19. Jahrhundert aber durchaus, was Herrn Dickson womöglich inszenatorisch wehmütig werden ließ, und zum Anderen portraitierte man ausgerechnet im hochmodernen Edison-Imperium einen doch schon sehr altertümlichen Beruf, was vielleicht eine gewisse Selbstironie aufzeigt[6]. Möglich wäre allerdings auch, dass man sich hier einfach über saufende einfache Arbeiter lustig macht oder aber, dass Dickson ein Visionär war, der im Prinzip exakt das moderne Deutschland und seine Handwerker abbildete. Fun Fact: Einer der drei Darsteller (Charles Kayser) war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 15 Jahre alt – fraglich ob so ein Film in den USA heute ohne Weiteres durch die Zensur käme[8]. Blacksmith Scene ist fast, aber nur fast auch das erste Remake, denn Muybridge (siehe Kapitel 001) hatte bei seinen animierten Serienaufnahmen, also nicht auf Film, bereits Schmiede bei der Arbeit gezeigt – natürlich so gut wie nackt. Witzigerweise diente Blacksmith Scene aber wiederum für das erste – Duplikationen eigener Filme ausgenommen – echte Remake[9], dass Louis Lumière himself 1895, in seinem großen Jahr, als Les forgerons aufführte. Seine Schmiede tranken nicht.
Via „Blacksmith Scene #1“, „Muybridge blacksmiths“ oder „Les forgerons 1895“ werden Sie bei Google fündig, die Blacksmith Scene befindet sich ansonsten auf Edison: Invention of the Movies (siehe Kapitel 003) oder dem ebenfalls nur in den USA als DVD-Box (NTSC, RC0) erhältlichen Treasures from American Film Archives von Image Entertainment (abzugreifen bei Amazon.com). Bezüglich Muybridge verweise ich auf The Movies Begin (Kapitel 001), bei Amazon.fr wiederum bekommen Sie die sehr lehrreiche und englisch untertitelte Doku-DVD Les premiers pas du cinéma von Lobster, die sich mit den abenteuerlichen Versuchen, Ton und Farbe in die frühen Filme zu bringen befasst – Les forgerons gibt es hier dann auch in einer prächtigen handkolorierten Version.
[1] IMDb.com Inc. (1990-2011h). The Internet Movie Database: 1893. Abgerufen am 11. Februar 2011 von http://www.imdb.com/year/1893
[2] IMDb.com Inc. . (1990-2011i). The Internet Movie Database – William Heise. Abgerufen am 26. Februar 2011 von http://www.imdb.com/name/nm0374658/#Cinematographer
[3] Friedman, M., & Jacobson Schwartz, A. (1971). A Monetary History of the United States, 1867-1960. Princeton: Princeton University Press.
[4] Robinson, D. (1997). From Peepshow to Palace. New York: Columbia University Press.
[5] Bordwell, D., & Thompson, K. (2009). Film Art: An Introduction (9 Ausg.). Columbus: McGraw-Hill Humanities/Social Sciences/Languages.
[6] Musser, C. (1991). Before the Nickelodeon: Edwin S. Porter and the Edison Manufacturing Company (The Ucla Film and Television Archive Studies in History, Criticism, and Theory). Berkeley: University of California Press.
[7] Brooklyn Daily Eagle (31. Mai 1893). Reaching for Routes. Brooklyn Daily Eagle , S. 10.
[8] MARTEA, I. (03. Februar 2010b). Essential Films – Blacksmith Scene (1893). Abgerufen am 26. Februar 2011 von http://www.essential-films.co.uk/home/blacksmith-scene-1893.html
[9] Cineanalyst (08. Mai 2008). The Internet Movie Database: Les forgerons (1895): User Review. Abgerufen am 06. Februar 2011 von http://www.imdb.com/title/tt0000022/